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Foto: Ursula Venetz

Unsere Geschichte

Seit über 160 Jahren prägt der Oratorienchor Bern (ocb) massgebend das Berner Musikleben.

Am 13. November 1862 wurde der ocb als Cäcilienverein der Stadt Bern mit 130 Mitgliedern aus der Taufe gehoben, nachdem das Chorwesen aus der Bernischen Musikgesellschaft (BMG) ausgegliedert worden war. Seinen Einstand gab der Cäc, wie er im Volksmund liebevoll genannt wurde, mit Georg Friedrich Händels Samson am 25. März 1863. Das Hauptgewicht der Konzertaufführungen des ehemaligen Cäcilienvereins und heutigen Oratorienchor Bern (ocb) liegt auf anspruchsvoller, geistlicher Musikliteratur für grosse Chöre mit Orchesterbegleitung. Höhepunkte mit nachhaltiger Resonanz setzte der ocb in seiner langjährigen Tätigkeit unter verschiedenen Direktoren mit Werken wie Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe und Matthäus-Passion, Giuseppe Verdis Messa da Requiem, Arthur Honeggers Jeanne d’Arc au bûcher. Am häufigsten aufgeführt wurden Beethovens 9. Symphonie gefolgt von der Missa solemnis. Aufsehen erregte der Chor auch mit Uraufführungen u.a. von Luc Balmer, Willy Burkhard, Fritz Brun, Arthur Furer, Carl Munzinger oder etwa Hans Studer und mit diversen Berner Erstaufführungen: u.a. Bachs ungekürzter Matthäus-Passion, Edward Elgars The Dream of Gerontius, Leoš Janáčeks Glagolská mše, Arthur Honeggers König David, Kodalys Te Deum oder Frank Martins Requiem.

Acht Direktoren führten den heutigen Oratorienchor Bern künstlerisch durch seine über 160-jährige Geschichte. In den ersten fünf Jahren stand der aus Breslau stammende Professor und Leiter der Musikschule Bern Eduard Franck (Privatschüler von Mendelssohn und Freund von Schumann) dem damaligen Cäcilienverein der Stadt Bern vor und brachte regelmässig drei Konzerte pro Jahr zur Aufführung, darunter Robert Schumanns Der Rose Pilgerfahrt.

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«Kasinoeröffnung Bern» von Ernst Linck, 1909, Bild: helveticall.ch

Sein Nachfolger war der westpreussische Dirigent und Komponist Adolf Reichel, der bald einmal gemeinsame Konzerte mit der Berner Liedertafel veranstaltete und auch eigene Chorwerke mit dem Cäc aufführte.

Von 1884 bis 1909 drückte der Komponist, Organist und Berner Musikdirektor Carl Munzinger aus Balsthal dem Cäc seinen Stempel auf. Als Dirigent der Musikgesellschaft führte er erstmals in Bern Bachs Passionen mit dem Cäcilienverein und der Berner Liedertafel auf und setzte sich besonders für Hector Berlioz' Werke ein. Interessant ist unter Munzingers Personalunion als Chor und Orchesterdirigent die Beziehung des Cäc zum Theater. Ausnahmsweise sang 1894 nämlich der Cäc in sechs Aufführungen von Christoph Willibald Glucks Iphigenie auf Tauris im «Hôtel de Musique» (heute Restaurant «Du Théâtre»). Anlässlich der 700-Jahr-Feier der Stadt Bern wirkte der Chor im Auftragswerk von Carl Munzingers Festspiel mit. Unter Munzinger brachte der Cäc 1902 zu Ehren des Münsterausbaus Bachs h-Moll Messe, den Schlusschor von Beethovens 9. Symphonie sowie die Verwandlungsmusik aus Wagners Parsifal zur Aufführung. Ein Jahr später beteiligte sich der Chor am Festkonzert zur Einweihung des neuen Hochschulgebäudes, sang am Schweizerischen Tonkünstlerfest und immer wieder an Volkskonzerten. In Munzingers Zeit fiel zudem 1909 das Eröffnungskonzert im neuen Kasinosaal Bern, das der Chor mit Werken von Bach, Beethoven und Berlioz (La Damnation de Faust) bestritt. Damit verabschiedete sich Carl Munzinger gleichzeitig als Dirigent des Cäc.

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Gestaltung: Heinz Jost

Im selben Jahr übernahm der Luzerner Komponist und Pianist Fritz Brun – als Nachfolger von Munzinger zum Dirigenten der Sinfoniekonzerte der Bernischen Musikgesellschaft (BMG) berufen – auch die Leitung des Cäcilienvereins und der Berner Liedertafel. Mit beiden Chören unternahm Brun, dem die Universität Bern für sein Wirken den Ehrendoktortitel verlieh, auch Konzertreisen ins angrenzende Ausland, 1923 nach Rom, 1926 ans Sängerfest nach Paris. Davon zeugt eine 50 Seiten starke Erinnerungsschrift. Die schweizerische und französische Presse waren voll des Lobes was sowohl Hermann Suters Werk Le Laudi als auch Bruns Aufführung der Berner Chöre betraf. Im «L’avenir» und in «Le monde musicale» stand: «Die gemischten Chöre von Bern, Liedertafel und Cäcilienverein, sind ausgezeichnet diszipliniert, die Stimmen voll und geschmeidig; trotz ihrer grossen Zahl können sie zum zartesten Pianissimo zurückgehen und zum mächtigen Crescendo anschwellen.» Unter Brun als Direktor der Musikgesellschaft hatte der Cäc Gelegenheit, kleine nicht abendfüllende Chorwerke auch weltlicher Art ohne Kostenbeteiligung in Abonnementskonzerten zu singen. Nach der Ära Brun mit der Nachfolgeregelung bei der BMG endete diese Tradition. Unvoreingenommen wandte der Chor sich auch zeitgenössischen Produktionen zu oder führte selten gehörte Werke auf wie Arthur Honeggers König David, André Caplets Le miroir de Jésus oder etwa Luc Balmers Sonett von Petrarca, das der Komponist dem Cäc gewidmet hatte und dieser unter Brun 1930 uraufführte.

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Brahms_Deutsches_Requiem_Dequervain_gross
Matthaeuspassion_gross

Gestaltung: Daniel de Quervain

Ab 1941 prägte mit Kurt Rothenbühler, Pianist und Dirigent, erstmals ein Berner die Chorgeschichte. Er war es auch, der 1962 den Cäcilienverein der Stadt Bern ins zweite Jahrhundert führte. Am Festkonzert erklang im Berner Münster Beethovens Missa solemnis. Unter den zahlreichen Kompositionen, die Rothenbühler mit dem Cäc oder zusammen mit der Liedertafel aufführte, ertönten auch wertvolle Raritäten. Dazu gehören 1962 Le Martyre de Saint Sébastien zum 100. Geburtstag sowohl von Debussy als auch zum Jubiläum des Cäc oder Stabat mater von Walter Geiser, Das Jahr von Willy Burkhard, Grosser Psalm von Armin Schibler oder Erstaufführungen wie Frank Martins Golgatha und Strawinskys Ödipus Rex. In der Nachkriegszeit reiste Rothenbühler mit dem Cäc nach Turin und gab dort Brahms Deutsches Requiem und beteiligte sich 1950 mit andern Chören am Bach-Jahr in Bern.

Ernstes künstlerisches Streben zeichnete auch Anton Knüsel aus Luzern aus, ehemals Korrepetitor von Rothenbühler, ab 1965 neuer Direktor des heutigen Oratorienchors Bern. Er stand ihm 36 Jahre vor, war gleichzeitig Kapellmeister am Stadttheater Bern und Pädagoge am Konservatorium Bern. Mit musikalischer Feinfühligkeit, philosophischen Ansätzen und Fachwissen verstand er, den Chor für die Werkaufführungen zu sensibilisieren und zu Höchstleistungen anzutreiben, u.a. auch 1981 am internationalen Chortreffen in Berlin, wo der ocb Gaetano Donizettis Messa da Requiem als Berliner Erstaufführung mit dem RIAS Jugendorchester präsentierte. Zum 125-Jahr-Jubiläum brachte er das Auftragswerk des ocb von Arthur Furer mit dem Titel Caeciliana zur Uraufführung. 1989 erhielt Knüsel den Musikpreis des Kantons Bern und der ocb interpretierte damals Verdis Te Deum und Dvoraks Stabat mater. Knüsel lud die Staatsphilharmonie Târgu Mureș nach Bern ein und organisierte Austauschkonzerte in Rumänien. Ihm sind die Berner Erstaufführungen von Elgars The dream of Gerontius und Janáčeks Glagolská mše zu verdanken, sowie Arthur Honeggers glanzvolle Jeanne d’Arc au bûcher, die in Zusammenarbeit mit dem Stadttheater Bern sechs Mal als szenische Aufführung im Berner Münster viel Publikum anlockte. Er rief eine Chorschule mit Lehrern des Konservatoriums Bern ins Leben und verhalf der Idee von Stimmbildungsgruppen zum Durchbruch.

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Gestaltung: Daniel de Quervain

Ab 2001 leitete der Freiburger Chorleiter und Orchesterdirigent Laurent Gendre den ocb. Sein Antrittskonzert gab der Romand 2002 mit Debussys Le Martyre de Saint Sebastien und Robert Schumanns Requiem für Mignon. In der Folge nahm er u.a. Beethovens selten aufgeführtes Oratorium Christus am Ölberge ins Programm, 2004 wiederum Elgars The Dream of Gerontius, danach Janáčeks Glagolitische Messe und später Kodalys Te Deum. Gendre legte Wert auf eine werkgetreue, lebendige Aufführungspraxis und feilte intensiv mit Chor und Orchester an seinen Klangvorstellungen. Zum 150-Jahr-Jubiläum setzte er mit Robert Schumanns Szenen aus Goethes Faust, die 1862, im Gründungsjahr des ocb, in Köln erstmals gesamthaft aufgeführt worden sind, einen weiteren Markstein. Bereits 1874 führte der Cäc unter Reichel Fausts Verklärung (Teil III) von Schumann am eidgenössischen Musikfest Zürich auf. 1887 hatte Munzinger für die 25-Jahr-Feier am 24. April Bachs Johannes-Passion und tags darauf Fausts Verklärung ins Programm aufgenommen. 1904 interpretierte der Cäc dann erstmals Schumanns Szenen aus Goethes Faust als gesamtes Werk unter Munzinger, ebenso 1923 unter Brun.

Seit 2016 hat mit Olga Machonova Pavlu erstmals eine Frau die musikalische Leitung des Chors inne. Sie debütierte 2017 mit Felix Mendelssohns Kantate Die erste Walpurgisnacht und Dvořáks Messe in D-Dur. Die Vollblutmusikerin aus Prag brachte in erster Linie weniger bekannte Perlen der Musikliteratur zur Aufführung, so Les sept dernières paroles du Christ en croix von César Franck oder Schumanns Das Paradies und die Peri, daneben auch Klassiker wie Verdis Messa da Requiem oder Beethovens Chorfantasie und C-Dur Messe. Einen weiteren Schwerpunkt bilden – in erster Linie in den Herbstkonzerten – Werke aus dem 20. und 21. Jahrhundert, beispielsweise die Chichester Psalms von Leonard Bernstein, geistliche Werke und Filmmusiken von Nino Rota oder Ramírez' argentinische Werke Misa Criolla und Navidad nuestra. 2024 kommen am Herbstkonzert erneut Werke eines argentinischen Komponisten zur Aufführung: die Misa a Buenos Aires und der 2022 komponierte 127. Psalm Nisi dominus von Martin Palmeri, bevor an Ostern 2025 die am Ostermorgen spielende Oper Cavalleria rusticana von Mascagni konzertant gegeben wird.

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Am Pult standen im Laufe der Zeit Gastdirigenten wie Jörg Ewald Dähler, Charles Dutoit, Martin Flämig, Paul Klecki, Ewald Körner, Theodor Künzi, Gustav Kuhn, Ferdinand Leitner, Nello Santi, Ivan Törzs, Klaus Weise. Im Sommer 2002 beteiligte sich der ocb mit andern Chören am Jubiläumskonzert des Berner Symphonie-Orchesters (BSO) in Beethovens 9. Symphonie unter der Stabführung Dmitrij Kitajenkos. 2012, 2014 und erneut 2016 lud das BSO den ocb zu den Neujahrskonzerten wiederum mit Beethovens 9. Symphonie ein, einmal unter Günter Herbig, die beiden letzten Konzerte unter Mario Venzago.

Ohne finanzielle Zuwendungen ist es undenkbar, grosse Konzerte mit professionellen Solisten und Orchestern durchzuführen. In frühen Jahren wurden gezielt Konzerte zur Deckung des Defizits veranstaltet. Später sorgten vereinzelt Legate, Testamente, Schenkungen und Spenden für Vermögenszuwachs. Ab 1978 erhält der ocb als eine von ursprünglich zwölf begünstigten Institutionen beachtliche Unterstützungsgelder aus der von der Stadt Bern verwalteten Dr. Max und Elsa Beer-Brawand Schenkung. Diese ermöglichen es immer wieder, international bekannte Gesangssolistinnen und -solisten aus dem In- und Ausland zu verpflichten.

Der Oratorienchor Bern, der zurzeit knapp 100 aktive Sängerinnen und Sänger zählt, tritt noch heute regelmässig mit dem Berner Symphonieorchester auf, aber auch mit OPUS Bern, dem Sinfonie Orchester Biel Solothurn, dem Berner Kammerorchester und anderen. Die Konzerte finden im Berner Münster, in der Französischen Kirche oder im Konzertsaal des Kultur-Casinos statt. Der ocb veranstaltet jeweils auch kleinere Konzerte im Herbst etwa mit Werken von Bruckner, Brahms, Tschaikowski, Wagner, mit Opernchören von Mozart oder A cappella-Werken. Korrepetitoren wie Klaus Sonnenburg, Krassimira Hristova und gegenwärtig Bertrand Roulet unterstützten bislang den ocb bei der Probenarbeit und wirkten bei entsprechenden Werken an den Konzerten mit. Einen besonderen Glanz verleihen den Konzerten die Plakate, die jahrelang vom Künstler Heinz Jost, danach von Daniel de Quervain, Peter Auchli und seit 2005 vom Grafiker Simon Tschachtli fantasievoll gestaltet werden.

Bis heute lenkten 26 Präsidenten und zahlreiche Vorstandsmitglieder umsichtig die Vereinsgeschicke des ältesten gemischten Berner Chors. Der ocb organisiert zudem Kulturreisen mit Konzert und Opernbesuchen im Ausland auf den Spuren der Komponisten, deren Werke jeweils gerade einstudiert werden. 1973 nahm der Cäc eine Namensänderung vor, um sich der Identifikation vornehmlich katholischer Kirchenchöre zu entziehen, und nannte sich vorerst Oratorienchor der Stadt Bern, 2010 wurde der Name auf Oratorienchor Bern gekürzt.

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Gestaltung: Simon Tschachtli